Das Kurhaus im Frühnebel © Jan Wähner

Bad Neuenahr: Erinnerungen voller Wehmut und Dankbarkeit an 13 unvergessene Schachmeisterschaften der Ärztinnen und Ärzte

von Josef Maus ___________________________________________________ Bild oben: Das Kurhaus im Nebel 2013 © Jan Wähner

Bad Neuenahr hat wie der gesamte rheinland-pfälzische Landkreis Ahrweiler durch die Flutkatastrophe in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2021 verheerende Schäden erlitten. Die Verwüstungen in den idyllisch gelegenen Ortschaften an der Ahr offenbaren ein Ausmaß, das kaum vorstellbar ist. Bad Neuenahr war viele Jahre lang Gastgeber der traditionellen Schachmeisterschaften für Ärztinnen und Ärzte. Ob und wann dort jemals wieder ein Ärzteturnier stattfinden können wird, ist völlig ungewiss.

Mit Entsetzen, Trauer und tiefem Mitgefühl für die Menschen in den betroffenen Regionen haben zahlreiche langjährige Teilnehmer an den Ärzteschachmeisterschaften auf die Katastrophe im Ahrkreis reagiert. Bad Neuenahr ist der Standort mit den meisten Ärzteturnieren in der fast 30-jährigen Geschichte der Schachmeisterschaften. 13 Mal war die Kurstadt mit dem besonderen Flair eine ebenso herzliche wie großzügige Gastgeberin für Schach spielende Ärztinnen und Ärzte aus ganz Deutschland. Im Schnitt besuchten rund 150 Mediziner die Turniere an der Ahr – und alle sind immer wieder gerne zurückgekehrt.

Der Spielort, das altehrwürdige und heute schwer beschädigte Kurhaus, ist vielen in bester Erinnerung. Ebenso das gegenüberliegende Hotel Steigenberger, in dem die meisten Teilnehmer während der Schachmeisterschaften untergebracht waren. Auch die Stadt selbst hat die Ärztinnen und Ärzte mit offenen Armen und großer Freude Jahr für Jahr empfangen. Die Schach spielenden Ärztinnen und Ärzte waren wirklich gern gesehene Gäste im Ahrtal.

Zum ersten Mal fand eine Ärzteschachmeisterschaft im Jahr 2002 in Bad Neuenahr statt. Es folgten vier weitere Turniere bis 2006. Nach einer Zwischenstation in Bad Homburg v.d. Höhe ging es 2009 an der Ahr weiter insgesamt noch acht Mal in Folge bis zum Jahr 2016. In dieser Zeit haben sich im Bad Neuenahrer Kurhaus zahlreiche namhafte Schachgroßmeister bei Simultanveranstaltungen die Ehre gegeben. Vlastimil Hort war fünfmal mit von der Partie, einmal trat er in einer Blindpartie gleichzeitig gegen acht Gegner an. Artur Jussopow war zweimal dabei, der Dresdener Großmeister Wolfgang Uhlmann, Alexander Naumann, Jörg Hickl und die Medizin-Studierende Filiz Osmanodja jeweils einmal. Immer mit dabei: Arzt und Großmeister Dr. med. Helmut Pfleger, der gemeinsam mit dem Autor dieser Zeilen in den Jahren 1992/93 die Schachmeisterschaften für Ärztinnen und Ärzte gegründet hat.

Die 13 Turniere in Bad Neuenahr haben einen entscheidenden Anteil an der guten Entwicklung der inzwischen traditionsreichen Schachmeisterschaft für Ärztinnen und Ärzte. Es war die besondere Atmosphäre in dieser Region, in dieser Stadt, im Kurhaus und im Steigenberger Hotel, die den Geist der Ärzteschachmeisterschaften mitgeprägt hat. Bad Neuenahr, das kann man ohne zu übertreiben sagen, war und bleibt ein Eckpfeiler der Ärzteturniere, ohne den die überaus positive Geschichte der Ärzteschachmeisterschaften kaum darstellbar gewesen wäre.

Fotos von den Turnieren in Bad Neuenahr und verschiedene Ankündigungen und Berichte dazu können sich interessierte Leserinnen und Leser auf der Startseite und im Archiv unserer Internetseite aerzteschach.de anschauen. Vor allem die Fotos erinnern an die gediegene Schönheit des Kurhauses und der Spielsäle. Eine Schönheit und einzigartige Atmosphäre, die hoffentlich in den kommenden Jahren wiederentstehen werden.

Großmeister Helmut Pfleger wird im Rahmen seiner Schachspalten in der ZEIT Magazin am 16. September über die Flutkatastrophe und „unsere Zeit“ in Bad Neuenahr berichten.

Mehr über den Autor Josef Maus finden Sie auf der Seite Über MedChess

Teil 5 der Gastbeitrags-Reihe zum Online-Schach: Cheater beim Online-Schach

von Dr. Franz-Jürgen Schell


Der enorme, Pandemie getriggerte Boom von online Schach hat auch ein spezielles Problem verstärkt: Computer Doping. Die bereits erwähnte Plattform Chess.com verzeichnete bei der Zahl der neuen Spieler einen Anstieg von 6,5 Mio. 2019 auf 12 Mio.. Noch deutlicher war der Anstieg der aufgrund von „Cheating“ gesperrten Profile: von den 5- 6.000 monatlich stieg sie auf 17.000 – jeden Monat. Das sind allerdings nur die „Erwischten“. Die Fair Play Teams der Schachseiten haben Personal aufgestockt und versuchen mit Algorithmen den Betrügern das Handwerk zu legen. Unter den Betrügern bei Chess.com waren übrigens sogar über 400 Titelträger.

Doping mit der Engine
Doch wie wird Computer Doping überhaupt praktiziert? Der Spieler lässt ein Programm, eine Engine wie Stockfisch mitlaufen, z.B. in einem anderen Fenster des PC oder auf einem anderen Gerät. Dann gibt er die Züge des Gegners ein und lässt sich eigene vorschlagen. Weil das Zeit kostet, ist cheaten im Prinzip erst ab einer Bedenkzeit von 3+2 bzw. 5 Min./Partie möglich. Bullett mit Bedenkzeiten von 1-2 Minuten sind dafür eigentlich zu schnell, es sei denn eine Hilfsperson bedient das Programm – was beim Blitzen natürlich auch noch mehr erfolgreichen Betrug ermöglichen würde.
Typische Auffälligkeiten
Eine extreme Diskrepanz zwischen dem Rating eines Spielers und ist der auffälligste Hinweis. Ich hatte zwei Mal eindeutige Cheater, die bei einem Rating von 1200 bzw. unter 1700 komplett fehlerlose Partien spielten. Ein charakteristisches Symptom sind auch sehr gleichmäßige Bedenkzeiten bei allen Zügen – ein menschlicher Spieler zieht Selbstverständliches sofort, denkt an anderer Stelle länger. Klar sind auch wundersame Verschlechterungen der Züge in Zeitnot, wenn beispielsweise Eröffnung und Mittelspiel perfekt absolviert wurden, aber im Endspiel mit nur noch 30 Sekunden Restzeit ein unerklärlicher Einbruch erfolgt. Nicht zuletzt sollten auch ausgesprochen ungewöhnliche Züge stutzig machen, auf die menschliche Spieler nicht kommen.

In vier Partien fehlerfrei bei einem Ranking von ca. 1700 gegen Spieler von >2100 gewonnen, das ist suspekt – der Account ist inzwischen geschlossen.
Natürlich wissen Cheater inzwischen auch sehr gut, wie man ihnen auf die Schliche kommen kann. Daher haben die Cleveren unter ihnen ihre Strategien angepasst, nehmen nicht jeden Computerzug oder setzen ihre elektronische Leistungssteigerung nur sporadisch ein.
Die Schachplattformen sagen aus guten Gründen nicht, wie sie Cheater erwischen. Sie haben natürlich ein großes Interesse, Betrüger aufzuspüren, um den Unmut ihrer ehrlichen Mitglieder zu vermeiden. Anderseits wirkt es speziell bei Lichess manchmal so, als sei das Bedürfnis nach Verfolgung auch limitiert, um nicht zu viele Spieler zu verlieren. Tatsächlich ist die Gratwanderung zwischen unberechtigter Anschuldigung und eindeutigem Verstoß nicht immer einfach.


Prominente Verdachtsfälle
Trotzdem kam es sogar zu prominenten Fällen: Der Lichess-Account des einstigen Juniorenweltmeisters Parham Maghsoodloo wurde während des „Levitov Chess Christmas Cup“ gesperrt. Damit ist er als Nr. 59 der Welt der beste Spieler, der bislang der Computerhilfe überführt wurde. Im Finale der Chess.com Pro Chess League besiegten die Armenia Eagles die mit Spielern wie Fabiano Caruana, Wesley So und Leinier Dominguez bärenstark besetzte Mannschaft der Saint Louis Arch Bishops – bis Spitzenspieler Tigran L. Petrosian von Chess.com wegen Verstoßens gegen die Fairplay-Regeln lebenslang gesperrt wurde. Neben der auffälligen Übereinstimmung vieler seiner Züge mit den Computerempfehlungen fiel bei der Webcam-Kontrolle auf, wie oft er statt auf den Bildschirm nach unten schaute, mutmaßlich auf ein Handy oder Tablet. https://en.chessbase.com/post/cheating-controversy-at-prochessleague
Bei den Armenia Eagles spielten mit Tigran L. Petrosian (vorne) und Parham Maghsoodloo (rechts) gleich zwei des Cheatings Verdächtigte gegen das Supergroßmeister Team der Saint Louis Arch Bishops.

https://en.chessbase.com/post/cheating-controversy-at-prochessleague


In eine ganz andere Form der Manipulation war die beste deutsche Großmeisterin Elisabeth Pähtz involviert, die wir vom Simultan bei der letzten Ärzteschachmeisterschaft kennen. Obwohl sie zweifellos eine hervorragende Spielerin (Lichess Rating 2528) ist, schlug sie – bzw. ihr Account(!) – Anfang August in einem Turnier für Titelträger überraschend den russischen Großmeister Vladimir Fedoseev (Rating 2765) in einer beeindruckenden Partie. Auch hier kam es zu einer Sperrung, allerdings ging es hier nicht um Computerhilfe, sondern darum, dass offenbar jemand anderes ihr Profil gekapert und unter ihrem Namen gespielt hatte. So hat sie es selbst erklärt. Man vermutet Levon Aronian dahinter. Aber warum sollte ein Top Ten-Spieler so etwas machen?

Elisabeth Pähtz wurde nach eigenen Angaben bei einem online-Blitzturnier gedoubled.


Was treibt Cheater an?
Über die Motivation von Cheatern gibt es m. W. noch keine Untersuchungen. Wenn ein Profispieler Geldgewinne oder Siegprämien erwartet, ist es vielleicht noch verständlich wenn auch nicht gerechtfertigt, nachhelfen zu wollen. Aber bei Amateuren? Es liegt nahe, hier ein übersteigertes Geltungsbedürfnis zu vermuten oder extremen Ehrgeiz, möglicherweise verbunden mit einem Gefühl von Macht. Cheater können dabei wie in eine Abhängigkeit geraten, zeigt ein interessantes Interview.
Betrugsfälle gab und gibt es übrigens auch immer wieder beim Spiel am Brett.


Wie Großmeister mit Cheating umgehen
Eine aufschlussreiche Cheaterpartie zeigt Großmeister Niclas Huschenbeth auf seinem YouTube Kanal. Die Reaktion der Großmeister auf gegnerische Manipulation ist unterschiedlich. Während Huschenbeth und seine Kollegen Ilja Zaragatski und Arkadij Naiditsch es eher als ein unveränderbares Übel wie das Nilhochwasser betrachten und bei Verdacht den Gegner nur für eigene Begegnungen blocken, sind die Großmeister Gata Kamsky und Baadur Jobava wegen Cheatern nicht mehr viel auf Lichess.org aktiv. Der Georgier Jobava hat aus Wut über einen Cheater und die in seinen Augen falsche Reaktion der französischen Plattform, die ihm einen Turniersieg kostete, dort seinen Account geschlossen.

Der georgische Großmeister Baadur Jobava mit der von ihm geprägten Variante des Londoner Systems.


Der gebürtige Russe Kamsky, der die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt und derzeit in Straßburg lebt, wurde hingegen von Lichess von der Liste der Streamer gestrichen. Der Grund: Kamsky meldet konsequent jeden Cheating-Verdacht. Wenn also ein FIDE-Meister ihn mit auffälliger Präzision schlägt, „reported“ er ihn. Das wurde Lichess offenbar zu viel und sie sanktionierten ihn, statt den Vorwürfen nachzugehen. Nicht mehr als Streamer aufgeführt zu sein, ist für Schachprofis, die in der Pandemie damit ihren Lebensunterhalt verdienen, sehr unangenehm. Jetzt ist Kamsky stattdessen auf Chess.com aktiv.

Gata Kamsky ist von Lichess auf Chess.com umgezogen.


Ich selbst habe meine eigene Konsequenz aus einem eindeutigen Cheating in der Quarantäneliga, das mich viele Ratingpunkte kostete und bei dem Lichess nicht reagierte, gezogen. Mit meinem eigentlichen Account spiele ich nur noch Turniere mit Leuten die ich kenne, wie z.B. die Turniere des Ärzteschachs. Bei Veranstaltungen mit erhöhtem Betrugsrisiko trete ich mit einem (eigentlich nicht erlaubten) Zweitaccount an. Dessen Rating spielt keine Rolle und ich ärgere mich nicht mehr, gelegentlich aufgrund von Cheating zu verlieren.
Folgen der Cheating-Pandemie
Der Betrug ruiniert nicht nur vielen Schachfreunden den Spaß am Spiel und erschwert die Bestimmung von Spielstärken. Durch seine weite Verbreitung fördert es auch Misstrauen und Paranoia. So tritt die fantastische Möglichkeit, jederzeit mit anderen Schachinteressierten aus Chile, China oder den USA jederzeit spielen zu können, in den Hintergrund. Kann online Schach das Cheating überwinden fragten bereits vor einem Jahr die „Perlen vom Bodensee“.

Schachaufgabe
Möglicherweise hegte der niederländische IM Pieter Hopman mit Weiß nach dieser Blitzpartie gegen mich in der Quarantäne Bundesliga auch den Verdacht, gegen einen Cheater verloren zu haben, immerhin trennten uns fast 400 Ratingpunkte. Denn als ich mir die Partie noch einmal ansehen wollte, hatte er schon die Computeranalyse veranlasst. Wie man aber anhand der vollständigen Partie unschwer erkennen kann, waren hier auf beiden Seiten häufig irrende Menschen am Werk, denn später übersah ich mehrfach die Möglichkeit in zwei Zügen Matt zu setzen. In der Diagrammstellung sind die schwarze Dame und der König arg unter Druck und abwehrende Figuren weit weg. Gerade hat Weiß gerade mit Sf6 einen giftigen Abzug mit Doppelgardez durchgeführt, der die Dame gewinnt. Aber der Computer hat diesen Zug als dicken Fehler entlarvt und sieht Schwarz in entscheidendem Vorteil. Das wusste ich in der Partie natürlich nicht, hatte aber tatsächlich den suboptimalen weißen Rösselsprung erwartet (dabei wäre er nach d6 viel unangenehmer für mich gewesen.) Was spielte Schwarz?

Lösung:

  1. Sf6? – Tg2:+
  2. Kh1 (Kg2: – Sf4+) – S5f6:
  3. Lh7: – Tg3+
  4. f3 – Th3:
  5. ef6: – Th6: und Schwarz gewann

Schach im Netz – welche Plattformen gibt es und wer steckt dahinter?

Teil 4 aus der Gastbeitragsreihe von Dr. Franz Jürgen Schell.

Wer online Schach spielen möchte, steht vor der Qual der Wahl, denn es gibt zahlreiche Angebote. Das Richtige zu finden ist auch deshalb nicht ganz einfach, weil Google beispielsweise die Seiten vorne anzeigt, von denen der Suchmaschinenbetreiber selbst etwas hat. Das Interesse des Suchenden hat dem zu folgen. Daher findet sich mein persönlicher Favorit www.lichess.org, immerhin der zweitgrößte Schachserver der Welt auf den ersten 8 (!) Seiten von Google überhaupt nicht. Dafür bekommt man aber otto.de und Zeit.de vorgeschlagen. Eine etwas bessere, aber auch nicht vollständige Auflistung bietet https://de.wikipedia.org/wiki/Schachserver


Grundsätzlich unterscheidet man zwischen kommerziellen und nichtkommerziellen Angeboten. Bei den meisten kommerziellen Seiten ist online Spielen auch ohne Kosten möglich, aber das Angebot ist eingeschränkt.
Unangefochtener Platzhirsch unter den kommerziellen Schachservern ist www.Chess.com. In der Zeit der Pandemie hat es die seit 15 Jahren bestehende Seite unter die Top 300 Internetseiten geschafft. Das amerikanische Unternehmen agiert dabei in einer landestypischen Mischung aus Einfallsreichtum, Unterhaltungswert und einem beinharten Wettbewerb. Zu dieser Kreativität mit kommerziellem Hintergrund gehören die „pogchamps“, deren zweite Staffel im Herbst lief. Dort ermitteln Schachamateure, die als Computerspieler, Schauspieler, Talkshowmoderatoren oder Youtuber bekannt wurden und von namhaften Großmeistern gecoacht werden, ihren Meister. Die Übertragungen werden dann von Großmeistern im Stil von Sportreportern leidenschaftlich kommentiert – und ziehen sehr viel Publikum an, darunter auch viele, für die Spannung beim Schach eher neu ist.

Chess.com-Vorstand IM Danny Rensch in einem Youtube-Video – dieser Chef tritt auch gerne selbst auf.

Die harte Seite zeigt sich in Exklusivverträgen mit namhaften und beliebten Großmeistern, mit denen den Mitbewerbern das Wasser abgegraben wird. Manch ein Titelträger muss Aktivitäten woanders einstellen, wenn er mit Chess.com unter dem Vorstand IM Danny Rensch ins Geschäft kommen will. Auch Weltmeister Magnus Carlsen wurde von Chess.com „mattgesetzt“: Als seine eigene Webseite Chess24.com die selbst initiierte und finanzierte Magnus Carlsen Chess Tour live zeigte, übertrug auch Chess.com – und hatte mit dem gleichen Inhalt mehr als zehn Mal so viele Zuschauer.

Da ist der Weltmeister, selbst durchaus geschäftstüchtig wenig amüsiert: Chess.com zieht ihm die Zuschauer ab.

Für Spieler bietet die Seite einen kostenlosen Account, allerdings mit Werbung und Einschränkungen. Es gibt drei Stufen der Mitgliedschaft, Gold, Platin und Diamant, die mit zunehmenden Privilegien verknüpft sind. Die Kosten liegen dabei zwischen 5 und 12 $ monatlich. Hinter jedem Spieler zeigt ein Fähnchen, woher er stammt, viele haben auch ein kleines Foto. Direkt nach der Partie wird eine grobe Analyse angezeigt mit Zahl der Ungenauigkeiten, Fehler und Patzer und wie akkurat man aus Sicht des Schachprogramms gespielt hat.


Das Gegenteil zu Chess.com ist Lichess.org. Diese 2010 von einem französischen Programmierer erstellte Seite ist nicht nur unkommerziell, sie macht es ihren Nutzern sogar richtig schwer, als „Patron“ zu spenden, man muss die entsprechende Seite erst mal finden: https://lichess.org/patron/list Übrigens finden auf Lichess mit seinem modernen, aufgeräumten Design auch die Ärzte-Schachturniere statt, auf die ich hier natürlich noch einmal für alle jene verweisen muss, die noch nicht teilnehmen: https://lichess.org/team/arzteschach. Eine ganz eigene Dynamik hat die Quarantäne Bundesliga auf Lichess entwickelt. Das Blitzturnier findet jeweils Donnerstag und Sonntagabend als Arena statt mit wechselnder Bedenkzeit zwischen 3 Min, 3+2 und 5 Minuten. Spieler treten für eines von 10 Teams an und sammeln Punkte. Die erfolgreichsten Spieler kommen in die Wertung, die ersten drei Mannschaften steigen in die höhere Liga auf, die letzten drei steigen ab. Was ursprünglich ein rein deutscher (aber offener) Wettbewerb war, ist inzwischen auf 16 Ligen mit meist jeweils drei parallelen Turnieren explodiert, und eine Kleinstadt kämpft hier regelmäßig um Auf- und Abstieg. Die Liga hat sich inzwischen international so etabliert, dass man in allen Klassen Mannschaften aus der ganzen Welt von Europa über Südamerika und Arabien bis Asien begegnet.
Die Hamburger IT Firma Chessbase, Erfinder des beliebten Schachprogramms Fritz play.chessbase.com bietet ebenfalls eine Plattform zum Spielen. Der Vorteil dürfte hier die Verknüpfung mit der Datenbank von Chessbase sein. Ansonsten ist Chessbase, früher eine Topadresse beim online-Spielen, im Wettbewerb der Schachserver etwas zurückgefallen. Auch die Homepage mit interessanten Nachrichten und originellen Geschichten aus der Welt des Schachs https://de.chessbase.com/ konnte diesen Abstieg nicht verhindern.

Fast schon ein Nachrichtenportal über Schach: Die Seite von Chessbase.com.


In Deutschland erfreut sich auch www.Schacharena.de einer gewissen Beliebtheit. Die Seite wirkt in ihrer verspielten, üppigen Optik für mich etwas barock, wie aus der Frühzeit des Internet. Verglichen mit den Marktführern scheinen hier auch eher weniger starke Spieler unterwegs zu sein.
Jung und hip dagegen ist www.Chess24.com. Diese Plattform wird von Weltmeister Magnus Carlsen und dem geborenen Norweger und Wahl-Hamburger Jan Gustafsson betrieben. Mit dem Weltmeister als Zugpferd, der z.B. regelmäßig in der Banter Blitz Serie auftritt, gibt es ständig interessanten „Content“, wie es im Internetmarketing so schön heißt. Die Norwegian Connection sieht sich nicht nur als Plattform zum Spielen, sondern versteht sich auch als Nachrichtenportal mit Turnierberichten, Interviews und Hintergrundinformationen und ähnelt hier Chessbase.

Wenn der Chef selbst seine größte Attraktion ist: Weltmeister Magnus Carlsen auf Chess24.com.


Weder Google noch Wikipedia weisen auf diese französische Plattform hin: https://www.europe-echecs.com/ Erwähnenswert ist sie wegen regelmäßiger Blitz Open-Turniere. Die Teilnahme ist für Titelträger kostenlos, Amateure bezahlen 5 €, haben dadurch aber die Chance gegen namhafte Großmeister spielen zu können.


Das schachliche Konsil mit Dr. FJS:
Wie hätten Sie gezogen? 

Apropos Titelträger: Das heutige Rätsel ist aus meinem ersten Sieg im Blitz gegen einen Internationalen Meister. Gerade hatte ich trotz der schwarzen Batterie auf der f-Linie mit f5 die Stellung aufgehebelt. Der Balken rechts verrät, dass der Computer die Position hier bereits als gewonnen für weiß einschätzt und als besten Zug für Schwarz Sxf5 vorschlägt. Der chilenische IM Manitodeplomo schlug stattdessen mit dem Turm auf f5, was mit einem Turm weniger natürlich eine verlorene Stellung zur Folge hatte. Aber warum kann Schwarz eigentlich nicht einfach mit dem Bauern auf f5 nehmen?

Lösung:
Weil er dann sogar die Dame verloren hätte. Nach gxf hatte ich Dxh5+ – Th6, Tg7+ – Txg7, Txg7+ -Kxg7, Dxe8 geplant.

Termin des Ärzteschachturniers auf den 20.-22.8. verschoben

Man könnte überspitzt sagen „Die königsindische Variante muss der indischen Doppelvariante weichen“.

Aufgrund der weiter bestehenden Planungsunsicherheit für Veranstaltungen hat der Vorstand von MedChess beschlossen, die Veranstaltung um 3 Monate zu verschieben in der Hoffnung, dann ein angstfreies und uneingeschränktes Turnier ausrichten zu können.

Die Gründe für die Verlegung und was die bereits angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie alle, die sich für den August noch anmelden möchten, beachten müssen, erläutert Prof. Dr. med. Peter Krauseneck, der Vorsitzende des veranstaltenden Vereins Medchess, in seinem folgenden Brief an die Ärztinnen und Ärzte.

Liebe Medchess-Mitglieder, liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
nach Rücksprache mit dem Oberbürgermeisterbüro Bad Homburg und Maritim-Direktor Grunder und im Hinblick auf die schleppenden Lockerungen müssen wir das Ärzteturnier doch auf den 20. bis 22.8.2021 verlegen, auch wenn es in letzter Minute vielleicht doch gerade noch möglich wäre.

In Hessen wurde der Lockdown zunächst bis Ende des Monats verlängert. In Homburg sind erst seit drei Tagen wieder Inzidenzwerte knapp unter 100. Nur inoffiziell wurde eine  Öffnung der Hotels bei günstigen Gegebenheiten zu Pfingsten in Aussicht gestellt, wobei die Begleitrestriktionen noch gar nicht bekannt sind. Die Zeit ist dann auch zu knapp, um die Rahmenbedingungen für unsere „Großveranstaltung” mit Stadt/Ordnungsamt zu klären und die Turniervorbereitungen ordentlich zu machen.

Kurzum es wäre jetzt extrem riskant, noch auf Ende Mai zu setzen, während wir im August auf weit fortgeschrittene Impfungen, die zu erwartende Besserung der Pandemie im Sommer und auf ein entspanntes Turnier hoffen dürfen. Die Hotels und das Kurhaus stehen uns zur Verfügung, und das Organisationsteam mit Jürgen Dammann, Alexander Krauth, Josef Maus und mir, sowie Helmut Pfleger  – und hoffentlich auch die anderen – stehen bereit.
Sehr schade ist, dass Großmeister Michael Bezold im August nicht kann, aber dann planen wir ihn eben 2022 ein und werden uns jetzt um guten Ersatz bemühen.
 
Organisatorisch machen wir es so, dass wir zunächst alle Anmeldungen und Startgelder für Mai in die neue Teilnehmerliste August  übernehmen. Wer aus dieser Liste im August nicht kann, möge sich bitte mit unserem Schatzmeister Jürgen Dammann unter  juergen@juergen-dammann.de oder Tel.  0621 4370980 in Verbindung setzen wegen Rückerstattung des Startgeldes oder Übertragung auf nächstes Jahr.

Der Ablauf bleibt wie geplant mit Beginn am Freitag 20.8. 18 Uhr mit dem Empfang. In der Ausschreibung  ändert sich nur das Datum und der Simultanspieler.

Bitte mit den Hotels die Umbuchung individuell absprechen!
 
Wir werden uns bald mit weiteren Neuigkeiten melden.
 

Mit den besten Grüßen


Ihr

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Peter Krauseneck

Gastbeitrag: Wie geht das? Tipps für Einsteiger beim online spielen

von Dr. Franz Jürgen Schell


Wenn man das klassische Schach mit weiteren Figuren gewohnt ist („over the Board“), erscheint das Onlinespielen per Computer merkwürdig. Ich zumindest hatte lange Zeit Aversionen dagegen und begann erst im April 2020, mich aufgrund mangelnder Alternativen darauf einzulassen. Es ist eigenartig, dem Gegner nicht in die Augen schauen zu können, noch nicht einmal zu wissen wer er ist, wie er aussieht oder oft auch nur aus welchem Land er kommt.
Aber das Onlinespielen bietet auch eine Reihe von Vorzügen. Ich kann jederzeit, frühmorgens oder mitten in der Nacht, Spielpartner finden und dabei selbst die gewünschte Bedenkzeit festlegen. Ich kann am Rechner im Arbeitszimmer spielen, aber auch auf der Wohnzimmercouch, auf dem Balkon, ja sogar im Bett oder in der Badewanne …Ebenso zeitlich flexibel kann ich an Turnieren teilnehmen oder an Mannschaftswettkämpfen, die – in der Quarantäneliga zum Beispiel – zweimal pro Woche stattfinden und damit eine Frequenz erreichen, die es im klassischen Blitz so kaum gibt. Ich finde auch für altbekannte wie auch skurril-verschrobene Schachvarianten wie Räuberschach oder Tandem immer passende Gegner.
Voraussetzungen, um online Schach zu spielen, sind lediglich eine E-Mail-Adresse und ein Internetzugang. Kosten fallen nicht zwangsläufig an. Das Onlinespielen ist bei den meisten Plattformen unentgeltlich möglich. Oft ganz anonym, als Gast oder mit einem selbst gewählten Alias. Letzteres ist weitaus reizvoller, weil man mit zunehmender Zahl an Partien ein immer präziseres Rating der eigenen Spielstärke erhält und dann bei freien Partien und teilweise auch bei Turnieren Gegner mit ähnlicher Spielstärke zugelost werden.


Bei der Anmeldung auf einer der großen Plattformen wie https://www.chess.com/de oder https://www.lichess.org wählt man ein Pseudonym oder Nickname sowie ein Passwort und schon kann’s losgehen. Unter uns Ärzten sind als Pseudonyme der eigene Name, Bezüge zum eigenen Fachgebiet oder zu fiktionalen Geschichten bis hin zu Symptomen beliebt. Gerne werden auch Wortspiele und Bezüge auf berühmte Schachspieler gewählt. Es geht aber auch andersherum: Sollten Sie auf einen starken Gegner namens Dr. Nykterstein treffen, dann sitzen Sie keinem Akademiker oder gar Kollegen gegenüber, sondern dem Weltmeister Magnus Carlsen persönlich.
Wer es nicht sofort mit einem Gegner aus dem Internet versuchen will, kann auch Rätsel lösen („Puzzles“) oder zunächst gegen den Computer spielen. Der bietet verschiedene „Spieler“ mit unterschiedlichen Eigenschaften an.

Auch gegen die fiktive Schachmeisterin Beth Harmon aus der Serie „Damengambit“ von Netflix kann man auf verschiedenen Plattformen spielen.


Gespielt werden kann auf einem Computer (Desktop oder Notebook) ebenso wie auf einem Tablet oder Handy. Für die mobilen Geräte gibt es Apps, die das Spiel erleichtern. Technische Probleme wie unsichtbare Figuren oder Verbindungsabbrüche sind damit weniger häufig. Ein Nachteil ist jedoch die schlechtere Möglichkeit zu „premoven“, also ein oder mehrere Züge im Voraus festzulegen, ungeachtet von der Antwort des Gegners. Das kann bei Entscheidungen, wenn es um wenige Sekunden geht, auch schon einmal Punkte kosten.
Das Premoven ist z.B. im Endspiel hilfreich, wenn ich einen Bauern zur Umwandlung vorschieben muss. In der Eröffnung kann es zum Desaster führen. So beobachtete ich, wie weiß nach g3 offenbar Lg2 vorab festgelegt hatte und nach dem schwarzen Lh3 Läufer und Turm verlor …
Es gibt fünf Kategorien bei der Bedenkzeit pro Partie und Spieler:
⦁ Bullet bzw. Ultrabullet: 1-2 Min. bzw. 30 Sek.
⦁ Blitz: 3-5 Min.
⦁ Schnellschach: 10-30 Min.
⦁ Normal: über 30 Min.
⦁ Fernschach: mehrere Tage

Die meisten Plattformen wie hier Lichess.org bieten eine große Auswahl an Bedenkzeiten und lassen auch selbst gewählte Zeitvorgaben zu.


Die gewählte Bedenkzeit lässt sich mit einem „Inkrement“ kombinieren. Das bedeutet für jeden Zug gibt es einige Sekunden zusätzlich als Bedenkzeit. Beliebte Kombinationen sind zum Beispiel 2+1 (2 Min. + 1 Sek. Inkrement) oder 3 + 2 (3 Minuten + 2 Sekunden je Zug).
Das Rating wird auf Lichess für jede Kategorie vergeben. Bei mir z.B. ist es im Bullet weit mehr als 100 Punkte schlechter als im Blitz und Schnellschach, offensichtlich ein typisches Phänomen bei – nun ja, nicht mehr ganz so jungen Menschen. Denn auch ohne Polyarthritis der Finger, Hirndurchblutungsstörungen oder beginnende Demenz sind die extrem schnellen Spielformen ein Primat der Jugend und von Spezialtalenten.
So verweigert sich der bereits erwähnte Großmeister Gata Kamsky dem Bullet und verweist darauf, dass er dafür zu alt sei. Dabei gälte der Frührentner im Ultraschnellschach in fast allen medizinischen Fachrichtungen – mit Ausnahme der Pädiatrie – als juveniler Patient, er ist 46! Der ebenfalls schon bekannte IM The Big Greek ist zwei Jahre älter und spielt (noch) Ein-Minutenpartien, gewährt seinen Gegnern dabei sogar mehr Bedenkzeit. Allerdings spielt Georgios Souleidis, wie er bürgerlich heißt, gegen seine Follower und deren Rating ist zwischen 300 und 1.200 Punkte schlechter. Das scheint das Altershandicap wettzumachen…
Mit welchen bösen Überraschungen man gerade beim Hyperbullet-Schach rechnen muss, erlebte kürzlich der Supergroßmeister Anish Giri, der bei einem Stream von GM Niclas Huschenbeth zu Gast war. Er wurde vom Fritzi_2003 zu 30-Sekunden-Partien herausgefordert. Dabei hatte der Niederländer russisch-nepalesischer Abstammung, immerhin Nr. 11 der Weltrangliste, größte Mühe gegen den jungen Streamer, der mehrere Partien durch Zeit gewann, meistens auf Verlust oder einen Zug vor dem Matt stand. https://www.youtube.com/watch?v=j58mK0MZvIM
Giri entging nur ganz knapp einer Megablamage und gewann, denn Huschenbeth erklärte das Duell für beendet, als Giri endlich einen Punkt mehr hatte. Die Zuschauer, von denen sich wohl einige auch die Gelegenheit auf eine Partie gegen den Weltklassespieler erhofft hatten, genossen die gleichermaßen blitzschnelle wie verbissene Auseinandersetzung allenfalls partiell: Ließ die Geschwindigkeit kaum das Verfolgen der Pläne oder gar eine sinnvolle Kommentierung der jeweiligen Partie zu.

Im Hyperbullet Match gegen Fritzi_2003 war der war der sonst so sympathisch und humorvoll auftretende Großmeister Anish Giri sichtlich unzufrieden.


Wer also mit online-Schach beginnt, sollte ein Zeitformat wählen, das angenehm ist. Auch sollte man dabei die Möglichkeit des Inkrements nutzen, lässt sich so ein Verlust durch eine frustrierende Zeitüberschreitung vermeiden. Und wer zunächst einmal mit Spielern die Klinge kreuzen möchte, die er kennt, dem seien unsere Ärzte-Schachturniere nahegelegt, hier der Link zum Team: https://lichess.org/team/arzteschach.

Das schachliche Konsil mit Dr. FJS:
Wie hätten Sie gezogen? 

Diese Partie gewann Giri, obwohl er mit 12 gegen 17 Sekunden wieder arg in „Zeitnot“ geraten war. Behaupte doch niemand, man könne in maximal einer halben Minute keine Partie mit Matt beenden! Wie setzte der niederländische Supergroßmeister in vier Zügen matt, weil Fritzi mit den flinken Fingern zu gierig war und sein Angebot nicht abzulehnen vermochte?

Lösung: Sf5-gf?? (Se8! hätte Fritzi gerettet, weil die zweite Mattdrohung Se7: vom anderen Springer auf d5 verhindert wird)
Tg3+ – Sg4
Txg4+ fg
Tg4:#

Über den Author:

Kurzbio: Dr. med. Franz Jürgen Schell, *1961, beruflich Medizinischer Pressesprecher der Asklepios Kliniken. Turnierschachspieler 1978-1982, damals Ingozahl 95 (entspricht 2080 Elo). Beste Leistungen: zeitgleich Rheinlandmeister der Jugend und Herren, Sieg als 17-Jähriger im Simultan gegen Dr. Robert Hübner. 1982-2017 schachliche Pause (mit Ausnahme der Ärzteschachmeisterschaft natürlich!) wg. Studium, Arbeit, Familiengründung und anderer zeitraubender Nebensächlichkeiten. Seit 2017 in der Betriebssportmannschaft Schach des Maßregelvollzugs der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll und seit Januar 2020 wieder Turnierschach in einem kleinen Verein: Bramfelder Schachklub 1947. Wegen fehlendem Schach am Brett seit April 2020 leidenschaftlicher online-Spieler.

Gastbeitrag von Dr. Franz Jürgen Schell: Schach im Netz Teil 2: Twitch.tv

„Tanzen, Singen – und Schach trainieren“


Ich kannte Twitch.tv bislang nur als eines der neuen, suspekten Medien, bei denen meine Kinder anderen dabei zusahen, wie diese irgendwelche Trickfiguren in sinnlose Schlachten steuerten. Dabei liefen im Chat (der Dialogspalte) unverständliche Kommentare der Zuschauer. Speziell dieser Chat macht aber tatsächlich einen wichtigen Unterschied zu Youtube aus, wo Kommentare nur nachträglich eingestellt werden: Kann hier doch in Echtzeit eine Frage gestellt oder ein Zug vorgeschlagen werden und der „Streamer“ kann darauf direkt eingehen und antworten. Bei dem Twitch-Champ und Social Media-Schachweltmeister Hikaru Nakamura geschieht das eher selten. Zu schnell rauschen die Textzeilen seiner Tausenden von Live-Zuschauern durch. Ganz anders in den „kleineren Runden“. Da ergeben sich manchmal richtige Gespräche. Als die Chatgruppe von Großmeister Gata Kamsky ihr Wissen über den früheren Weltmeister Alexander Aljechin (Angelsächsisch übrigens Ellekain genannt) zusammentrug, erwähnte ich dessen Neigung zu deutlich älteren Partnerinnen. Darauf sagte Kamsky auf meinen Lichess-Nickname anspielend: „Oh you are a real psychodoc.“


Gata Kamsky lebt derzeit in Straßburg und betätigt sich vorwiegend online.

Twitch-Streamer verdienen ihr Geld nicht nur mit Werbung vor der Übertragung, sondern durch Abonnements. Diese kosten 5 Euro/Monat. Da Twitch zu Amazon-Gaming gehört, hat jeder Amazon-Prime-Kunde ein Abo monatlich kostenlos. Frei zu sehen sind die Streams (Liveübertragungen) alle. Für Abonnenten gibt es Zusatzfeatures, meistens die Möglichkeit, gegen die Streamer zu spielen. Bei Kamsky, der immerhin mal zu den fünf besten Spielern der Welt gehörte, ist das jede Woche ein Simultan sowie ein thematisches Trainingsturnier mit wechselnden, vorgegebenen Eröffnungen und ein Chess960 Turnier. Dazu kommen auch hier in unregelmäßigen Abständen „Streamerbattles“ und das Angebot, ihn zum Blitzen herauszufordern.


Hier die Streamer-Battle Kamsky gegen Jobava, bei der ich mitspielte und – weil Jobavas Team zu wenig Spieler meines Ratings hatte – zu ihm wechselte. Dabei gewann ich auch noch, so dass mein eigentliches Team, also das von Kamsky verlor. Dumm gelaufen…
Die Qualität von Kamskys Analysen als Kommentare zu Großmeisterpartien und auch nur während der Blitz- und Simultanpartien sind außergewöhnlich gut und sehr lehrreich. Gerade bei positionellen Fragen und Endspielen kann man sehr viel lernen. Ich selbst finde den Preis für dieses Angebot (eine Simultanpartie für 1,25 €!) sogar fast peinlich günstig, aber man kann auch während der Streams etwas spenden.

https://www.twitch.tv/igmgatakamsky


Kamsky wirkt mitunter etwas „grantelig“, wie man in Süddeutschand sagen würde. Besonders deutlich wird das, wenn er Gegner in Verdacht hat, elektronisches Doping zu betreiben, also mit Hilfe eines Computerprogramms zu „cheaten“. Tatsächlich kommt das beim „Titled Tuesday“, wo er an einem Turnier für Titelträger teilnimmt, leider nicht allzu selten vor. Dort trumpfen mitunter Fidemeister mit einer Genauigkeit von 97 % in dreiminütigen Blitzpartien auf. Wären das reelle Ergebnisse, könnten sie es damit unter die Top 100 der Welt schaffen…
Ein spektakulärer Spielstil zieht automatisch mehr Publikum an. Der internationale Meister Eric Rosen spielt fast ausschließlich fragwürdige, aber interessante Gambits gegen seine Unterstützer. Der harmlos wirkende US-Amerikaner mit den traurigen Augen und einer sanften Stimme, mit der sich eine Yoga-Asana noch besser als das Stefford-Gambit erläutern ließ, beginnt so kaum eine Partie ohne Bauernvorgabe oder wildem Bauernvorstoß wie g4 oder h4.

https://www.twitch.tv/imrosen


Im Wettbewerb der vielen Schachmeister und Streamer auf Twitch sind Mehrfachbegabungen natürlich hilfreich. So unterhält die aus der Ukraine stammende und in Deutschland lebende AngelikaChessborn ihr Publikum in den Pausen zwischen den Partien mit Gesang.

https://www.twitch.tv/angelikachessborn


Musik und Schach passen gut zusammen, wie auch AngelikaChessborn belegt.


Ein anderes Phänomen ist der georgische Großmeister Baadur Jobava. Auch er pflegt einen spannenden, aggressiven Spielstil. Während der meisten Blitzpartien tanzt James Blunder, wie er sich auf Twitch nennt, vor der Kamera zu flotter Musik, von Hiphop bis Metal. Dabei verströmt er eine so ansteckend gute Laune, dass er als ideales Gegenmittel für jede Lockdown verstärkte saisonale Depression wirkt: https://www.twitch.tv/jamesblunder


Großmeister Baadur Jobava macht mehr Stimmung als mancher Discjockey.


Auch auf Twitch gibt es Kurioses zu bestaunen. So treten dort einige junge Damen auf, deren Talent für die eigene Figur deutlich stärker ausgeprägt ist als ihre Fähigkeiten beim Zug der Figuren auf dem Brett. Mit ihren ansprechend geschnürten Dekolletés könnten sie auch auf dem Oktoberfest reüssieren. Da sie speziell uns Ärzten aber weder schachlich noch anatomisch Interessantes zu bieten haben, sei darauf nicht weiter eingegangen.


Besonders beliebt sind bei den zahlenden Abonnenten die Simultanveranstaltungen. Kann man doch hier selbst gegen einen Großmeister, manchmal gar eine Legende, antreten. In der Regel erhält man ca. 30 Minuten Bedenkzeit plus Inkrement, also z.B. für jeden absolvierten Zug weitere zehn Sekunden. Damit ähnelt das schon fast einer „normalen“ Partie am Brett. Natürlich sieht der Großmeister, der doppelt so viel Bedenkzeit (bei 30 Gegnern) hat, in drei Sekunden mehr als unsereiner bei minutenlangem Nachdenken. Aber man ist nicht ganz chancenlos. Ein knappes Drittel der Partien gewinnt z.B. Kamsky im Schnitt nicht. Er verliert sehr wenig, aber ein Remis ist bei genauem Spiel doch manchmal erreichbar. Wenn sich der Simultanspieler bei der Bedenkzeit grob verkalkuliert, und er dann die Mehrzahl der Partien durch Zeitüberschreitung verliert, wie es The Big Greek schon mal passierte, ist das auch für seine Gegner nicht wirklich befriedigend.


Bei meinen eigenen Simultanteilnahmen steht es nach vier Partien zwischen Gata Kamsky und mir durch etwas Glück 2:2. In der ersten Begegnung hoffnungslos unter die Räder geraten, endeten Spiel 2 und 4 umkämpft im remis. In der dritten Partie hatte ich in einer wilden, völlig inkorrekten Variante eine Qualität verloren. Mit dem letzten Zug Th1-b1 wollte ich dem vorwitzigen Springer den Weg aus der Ecke erschweren und zugleich auf der siebten Reihe im Trüben fischen. Verständlich, dass Schwarz meine Dame aus der Nähe seiner Königsstellung vertreiben will, aber der letzte Zug Ta8-e8?? war ein „big blunder“, der sofort verliert. Alle Kollegen, die an den online-Turnieren des Ärzteschachs teilnehmen, werden das sicher schnell sehen. Wo wir dabei sind, falls sich jemand noch nicht angemeldet hat, hier noch einmal der Link zum Team: 

https://lichess.org/team/arzteschach.

Kleiner Hinweis: Tb1 gefiel mir auch deshalb so gut, weil sich aufgrund des gleichen Motivs ihm kein schwarzer Turm entgegenstellen kann.

Lösung: Dxe8! Gewinnt einen Turm, weil nach dem Schlagen der weißen Dame durch den Turm die schwarze Dame nicht mehr durch die Fesselung auf der f-Linie vor dem Schlagen geschützt ist.