Die ZEIT im Interview mit Helmut Pfleger

Die ZEIT im Interview mit Helmut Pfleger

Ein Gastbetrag mit freundlicher Erlaubnis der ZEIT.

Von MICHAEL ALLMAIER

Fotos JULIAN BAUMANN

Er kommt pünktlich, fast überpünktlich. So, wie man das (übrigens oft zu Unrecht) von einem Schachspieler erwartet. Und er hat tatsächlich einen Motiv-Pulli an – weiße Schachfiguren auf schwarzem Hintergrund. Helmut Pfleger, seit vierzig Jahren Schachkolumnist im ZEITmagazin. Schon sein halbes Leben berichtet er hier aus der Welt seines Sports. Nun soll er mal von sich erzählen, der Großmeister, Ex-Nationalspieler, Arzt, Therapeut, Moderator, Autor. Der »Tausendsassa«, das wäre wohl so ein Helmut-Pfleger- Wort. Nur dass er nie von sich selbst so spräche; er ist ein bescheidener, ausgesucht höflicher Mann von 79 Jahren. Statt den Interviewer zu sich nach München zu bestellen, schaut er in der Redaktion vorbei – ein bisschen scheu, wie ein Nachwuchsautor, der sich vorstellen möchte. Doch wenn er mal ins Erzählen kommt, wird es ihm warm im Pullover. Ob er ablegen dürfe? Das Hemd hat kein Schachbrettmuster, kariert ist es allerdings schon. 

Herr Pfleger, Sie waren für mich immer der Mann mit dem Teufelsrappen, der tapferen Mähre, dem galoppierenden Ross. Wer im Westdeutschland der Achtzigerjahre Schach gespielt hat, der kannte Sie. Und der wusste auch, dass bei Ihnen ein Springer nie bloß ein Springer war. Sie fanden immer die farbigsten Bilder für diesen schwarz-weißen Sport. 

Ich hoffe zumindest, dass dieser Teufelsrappe, von dem ich sprach, ein schwarzer Springer war. Es stimmt: Ich habe immer gern mit Metaphern gearbeitet. Und ich kann mir vorstellen, dass Leute davon genervt waren. Aber Sie müssen bedenken, wie populär Schach vor vierzig Jahren war. Eine Übertragung im dritten Programm konnte schon mal eine Million Zuschauer erreichen. Manche von denen kannten wahrscheinlich gerade mal die Züge. Auch denen wollte ich vermitteln, was gerade Spannendes passierte auf dem Brett. 

Woher kam dieser Schach-Boom damals? 

Schach hatte eine enorme politische Brisanz. Begonnen hatte das in den Siebzigern. Die Weltmeisterschaft Fischer – Spasski: USA gegen Sowjetunion. Dann Karpow – Kortschnoi: der sowjetische linientreue Kommunist gegen den Dissidenten. Ich weiß noch, wie Kortschnoi damals sagte, er höre in Karpows Tasche die Ketten rasseln. 

Welche Ketten? 

Die Ketten, mit denen seine Frau in Russland festgehalten wurde. Viktor Kortschnoi war kein Mann, der Menschen etwas nachsah. Zum Glück kam ich immer gut mit ihm aus. In den Achtzigern folgte auf ihn dann Kasparow als der junge Rebell, der aufbegehrt. So setzte sich das bis zur Wende fort. 

Die Bundesrepublik hatte damals selbst einen Weltklassespieler. Ja, Robert Hübner, der 1980 beinahe um den Titel gespielt hätte und es sich tragisch verdarb. Er hat in einer entscheidenden Partie eine simple Springergabel übersehen. 

Hübner war nicht gerade der Boris Becker des deutschen Schachs.

Nein, wirklich nicht. Ein hochgebildeter, unglaublich wortgewandter, aber etwas schwieriger Mann, der sich dem Rummel um ihn komplett verweigert hat. 

In dieses Vakuum traten dann Sie mit Ihren Kolumnen und Fernsehauftritten – als das Gesicht des bundesdeutschen Schachs. 

Ja, vielleicht war das meine Rolle. Ich war der Umgängliche, der Vermittler, der mit dem Teufelsrappen. So ein Wort wäre dem Hübner nie über die Lippen gegangen. 

Als Sie im Herbst 1982 Ihre erste Spalte im ZEITmagazin schrieben, waren Sie selbst einer der stärksten deutschen Spieler. Sie hätten eine eigene Glanzpartie zeigen können; stattdessen porträtierten Sie eine damals wenig bekannte 19-jährige Schwedin, die bei einem Turnier in London fast gegen Kortschnoi gewonnen hätte, unter der Überschrift »Furchtlose Pia«. War das ein Statement zu einer Zeit, als viele glaubten, Frauen hätten für Schach die falschen Gene? 

Ehrlich gesagt weiß ich das nicht mehr. Ich kannte Pia Cramling schon eine Weile, seit 1978 in Buenos Aires; und ich mochte, wie angenehm und bescheiden sie war. Das geht mir bis heute mit meiner Kolumne so: Ich schreibe öfter über Leute, die mir sympathisch sind. Und mit Pia Cramling habe ich richtiggelegen. Sie wurde eine der besten Frauen im Schach und spielt noch heute sehr stark. 

Ich habe mir Ihr Debüt bei uns eben noch angeschaut. Es ist schon sehr Helmut Pfleger. Mit »Angriffswirbel« und »Pferdebraten« und Cramlings »schlauem Köpfchen«, das beinahe obsiegt. 

»Schlaues Köpfchen«? Ogottogott. Das ist wirklich lange her. 

Der Mauerfall war eine große Sache aus der Sicht eines Schachamateurs. Vorher dachte man vielleicht noch, man könnte spielen. Nun saßen einem selbst in der Bezirksliga Meister aus Bela- rus oder Usbekistan gegenüber, die unendlich viel besser waren. Schach war Nationalsport in der UdSSR, viel beliebter als etwa Fußball. Großmeister bekamen ein Gehalt vom Staat. Und nachdem sie dann ausreisen durften, kamen etliche nach Westen. Damals gab es hier einen Spitzenspieler, der eine Russenquote verlangte, damit nicht alle deutschen Trophäen irgendwo im Osten verschwanden. 

Ein Schach-Patriot? 

Nein, der kam selber aus Russland, nur schon lange vor der Wende. 

Sie spielten damals für Bamberg in der Bundesliga. 

Auch da wehte bald ein anderer Wind. Wir haben mal gegen Duisburg gespielt, da war mein Gegner der spätere Weltmeister Alexander Khalifman. Ich habe sogar gewonnen. Aber für den war das natürlich ein Ausrutscher. 

Sie waren immer stolz darauf, dass Sie als Amateur so weit gekommen sind. 

Nicht nur ich. Die westdeutschen Großmeister zu meiner Zeit waren Richter, Verleger, Computerspezialisten… Robert Hübner war Altphilologe, ich Arzt. Heute wäre das undenkbar. Da sind an der Spitze nur Profis. 

Ist das nicht ein Elend für Sie als Kolumnisten? Früher ließen sich Spitzensportler auf einer Trage ans Brett rollen, spuckten auf einen Regierungserlass oder schnitten Grimassen wie die Psychos aus Horrorfilmen. Heute herrschen die netten Nerds. 

Die Spieler von heute sind ruhiger, vernünftiger, vielleicht sogar netter – und bestimmt einseitiger geworden. Aber es gibt immer noch eine Menge Charaktere. 

Von Schachspielern glaubt man gerne, sie seien besonders schlau. Sie haben als Psychologe in diese Richtung geforscht. 

Dass Schach Menschen klüger macht, kann ich nicht belegen. Man muss wohl schon etwas mitbringen, um dieses Spiel zu mögen. Aber anscheinend hilft es dabei, den Verstand wachzuhalten, wenn man älter wird. Mein Proband dafür war Viktor Kortschnoi, der noch mit 80 Jahren, bis kurz vor seinem Tod, ein erstklassiger Spieler war. 

Ich hatte vor, Sie zu fragen, ob Schachspieler Wahrheitssucher sind. Nur weisen die Nachrichten gerade in eine andere Richtung. 

Meinen Sie Hans Moke Niemann (den 19-jährigen amerikanischen Großmeister, der gerade Partien gewinnt, wie es sonst nur Computer können, Anm. d. Red.)? Ich hatte von dem kaum gehört, bis die Betrugsvorwürfe kamen. Geschwindelt wurde immer im Schach: erst mit dem Taschenbrett auf der Toilette, wo man die Züge nachspielte, dann dank der Technik immer raffinierter. Verhindern kann man so etwas nicht. Und ihm wurde nichts nachgewiesen. 

Ich dachte eher an Sergej Karjakin, der vor sechs Jahren um den Weltmeistertitel spielte und nun für viele Turniere gesperrt ist, weil er als Russe Propaganda für Putin macht … 

… anders als viele russische Spieler, die gegen den Krieg pro- testieren. Es ist unsäglich, was Karjakin für einen Mist verzapft hat. Aber wie ich ihn einschätze, glaubt er, was er sagt. Ein naiver junger Mann, im Privaten sicher ein netter Kerl. Und einer, der bestimmt nie beim Schach betrügen würde. 

Darf ich Ihnen ein letztes Mal mit einem Helmut-Pfleger-Wort kommen? 

(höfliches Schweigen) 

»Herrlich«, damit beschreiben Sie die Züge, die man in Ihren Rätseln finden soll. »Wunderbar« ist auch so ein Wort. Oder »prächtig«. 

Sie haben über 2000 Schachkolumnen für uns geschrieben. Das macht gute 30 für jedes Feld. 

Ja, mich begeistert das immer noch, wenn sich eins ins andere fügt. Eine zwingende Logik, die zuerst überrascht. Und wenn man sie dann verstanden hat, ist alles richtig und gut. 

Ich habe mir einen Trick ausgedacht, um Ihre Aufgaben zu lösen. Ich probiere als Erstes den Zug, der am meisten Material verliert.

Ich hatte mal einen Leser, einen starken Spieler, der meine Texte mochte. Nur die Aufgaben passten ihm gar nicht. 

Dass man da immer die Dame opfert, war ihm zu vulgär. Aber ich sehe es an den Einsendungen: Die Rätsel sind schon zu schwer. 

Stimmt es, dass ein besonders treuer Leser Ihnen über Jahre seine Lösungen in der Form von Aquarellen geschickt hat? 

Ja, ich habe mittlerweile eine stolze Sammlung davon. 

Und hat er immer das richtige Opfer gefunden? 

Das war ein so netter Mann. Und so ein aufrichtiges Bemühen. Leider lag er fast immer daneben. 

Valokulta präsentiert: Der Schachbrettkalender 2023

Valokulta präsentiert: Der Schachbrettkalender 2023

Das Aerzteschachturnier von Freitag Abend bis Sonntag Mittag ist bereits vermerkt.

Liebe Schachfreunde, das finnische Alter Ego eures Webmasters hat einen Schachkalender der etwas anderen Art geschaffen. Dem Schachbrett nachempfunden sind sowohl die Kalenderbilder als auch die Kalenderseiten quadratisch und letztere sogar komplett als Schachbrett gestaltet, was einiges an Tüftelei erforderte: Wie bekommt man 7 Wochentage in ein 8×8 Quadrat, ohne die Orientierung zu verlieren? Es gibt eine deutsche und eine internationale Version des ganzen, jew. mit oder ohne Bildseiten.

Die Seite öffnet in einem neuen Tab; es ist eine sichere https-Verbindung.

A4-Druck und Zuschnitt auf Quadrat, größere Größen sind bei 5000px² kein Problem

Neue Schachspalte im ZEIT-Magazin erschienen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schachfreunde,

in seiner neuesten Schachspalte  im ZEIT-MAGAZIN erinnert Dr. med. Helmut Pfleger an die Anfänge der langjährigen Schachfreundschaft zwischen dem Naumburger Schachclub von Jens-Frieder Mükke und dem Starnberger SC von Dr. med. Ulrich Fincke. Die beiden Clubs, deren Protagonisten sich auf der Schachmeisterschaft für Ärztinnen und Ärzte kennengelernt und befreundet hatten, trafen sich jährlich wechselnd in Naumburg und Starnberg zu spannenden Turnieren. Bislang fand das Treffen 20 Mal statt.

Jens-Frieder Mükke war am 10. Juni dieses Jahres plötzlich verstorben – ein bis heute tief sitzender Schock für seine vielen Schachfreunde, allen voran für Dr. med. Ulrich Fincke. Helmut Pfleger greift bei seiner aktuellen Schachaufgabe auf eine Partie von Jens-Frieder Mückke beim Ärzteturnier 2009 zurück und fragt: „Wie eroberte er als Weißer am Zug zwangsläufig die schwarze Dame?“
 
Und hier der Link zum Beitrag von Dr. Helmut Pfleger:

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2022/41/schach

Herzliche Grüße

Ihr Ärzteschach-Team


Das „Schachwunderland“ eröffnet seine Pforten

„Schachwunderland“, die Ausstellung zu Kunst und Humor im Schach zeigt vom 30.10. bis zum 24.11.2022 die Vielfalt des Humor in Filmen während der Ausstellung (zum Beispiel den Stummfilm „Schachfieber“), in Parodien, Humoresken, Gedichten, in Cartoons, Comics, satirischen Darstellungen, in künstlerisch gestalteten Schachfiguren, in Schachscherzen u.v.m..

Schach wird mit allen Sinnen erlebbar sein, so das Ziel der Ausstellungsmacher.

Frank Bicker, Vereinsvorsitzender des Vogtländischen SC Plauen 1952 e.V. lädt uns und unsere Kolleginnen und Kollegen ein, Schach von der humorvollen Seite zu erleben.

Zudem gibt ein Jubiläumsschachturnier, zu welchem wir auch herzlich eingeladen sind.

Neue Schachspalte von Dr. Helmut Pfleger in der ZEIT

Die neue Schachspalte von Dr. med. Helmut Pfleger ist im ZEIT-MAGAZIN erschienen. Dr. Pfleger berichtet darin über den renommierten Virologen und Schachgroßmeister Luca Shytaj, der in den vergangenen vier Jahren in Heidelberg sowohl zu HIV als auch zu Covid-19 geforscht hat. Shytaj, in Albanien geboren und im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern nach Italien gekommen, hat die albanische und italienische Schachmeisterschaft gewonnen und vertrat zuerst mehrere Male Albanien und dann auch Italien bei den Schacholympiaden.

Helmut Pfleger hat für seine Schachspalte eine Partie Shytajs gegen Fernando Braga aus der deutschen Bundesliga ausgewählt. Er fragt, mit welchem Zug Shytaj als Weißer gegen Braga ein Matt oder einen Damengewinn erzwang.“

Und hier der Link zum Beitrag von Dr. Helmut Pfleger:

Nachruf auf Jens-Frieder Mükke

Foto: „Lichtbögen“ by Valokulta


von Dr. med. Ulrich Fincke und Josef Maus

Einen Nachruf auf einen Freund schreiben? Wo fange ich da an?
Jens-Frieder hatte ich vor über 20 Jahren beim Ärzteschachturnier kennengelernt. Ich glaube, es war in Bad Neuenahr. Wir kamen ins Gespräch. Seine Heimatstadt war Naumburg, ich bin in Halle an der Saale geboren und aufgewachsen. Inzwischen lebe ich seit vielen Jahren in Starnberg. Und so wurde bald die Idee geboren, dass sich unsere Schachvereine doch gegenseitig besuchen könnten. Seither fuhr nun eine Starnberger Mannschaft in dem einen Jahr nach Naumburg, im darauffolgenden kam die Naumburger Mannschaft nach Starnberg. Neben dem obligatorischen Vergleichskampf standen die persönlichen Beziehungen im Vordergrund, gab es immer kulturelle und kulinarische Erlebnisse. Aus Begegnungen wurden Freundschaften.
Vor vier Jahren hatte Jens-Frieder dann einen schrecklichen Verkehrsunfall, den er knapp überlebte. Erfreulicherweise kam es zu einer zunehmenden Besserung. So konnte er auch wieder aktiv Schach spielen und am Ärzteschachturnier teilnehmen. Sogar unsere Schachvereine besuchten sich wieder gegenseitig. Zuletzt kamen die Naumburger Ende April dieses Jahres.
Um so fassungsloser war ich jetzt, als ich die Nachricht von Jens-Frieders plötzlichem Tod erhielt, denn über das Schach hinaus war eine langjährige persönliche Freundschaft entstanden. Den Kontakt zum Naumburger Schachverein möchte ich aufrechterhalten und die gegenseitigen Besuche im Andenken an Jens-Frieder fortsetzen.
Dr. Ulrich Fincke

Das erste Jahr, in dem Jens-Frieder Mükke an der Schachmeisterschaft für Ärztinnen und Ärzte teilnahm, war das Jahr 1998. Es war die sechste Meisterschaft in Folge, die zweite in Baden-Baden, und es waren weit mehr als 100 Ärztinnen und Ärzte am Start. Der „Novize“ aus Naumburg (Saale) schaffte es in einem sehr starken Teilnehmerfeld auf Anhieb auf Platz fünf – und damit auf die vordersten Siegerplätze.
Seit diesem fulminanten Einstieg war Jens-Frieder Mükke regelmäßig dabei, wenn auch nicht immer, aber immer dann, wenn es ihm möglich war. Am Ende waren es 20 der insgesamt 30 Ärzteschachmeisterschaften, bei denen der Name Jens-Frieder Mükke in den Ergebnislisten vermerkt war. In der „Ewigen Tabelle“ der Ärzteschachmeisterschaften, die Dr. med. Branko Spasojevic in akribischer Arbeit erstellt hat, rangierte Jens-Frieder mit seiner bis dahin erspielten Gesamtpunktzahl vor dem 30. Turnier auf Platz 24 von insgesamt mehr als 700 Ärztinnen und Ärzten!
Dass Schach einen ganz hohen Stellenwert in seinem Leben hatte, war jedem klar, der das Glück hatte, ihn kennengelernt zu haben. So kann es nicht verwundern, dass der begeisterte und auch international renommierte Sammler von Schachuhren und Schachfiguren aus mehreren Jahrhunderten Spuren in der hiesigen Schachwelt hinterlassen hat. Und das trifft auch auf den Menschen Jens-Frieder Mükke zu, über den Dr. med. Helmut Pfleger, Arzt und Internationaler Schachgroßmeister sowie Gründer und Mentor der Schachmeisterschaften für Ärztinnen und Ärzte, sagt: „Bei Jens-Frieder beeindruckte mich immer seine Geradlinigkeit im Denken und Handeln und sein zutiefst in ihm verwurzelter Optimismus in allen Lebenslagen, der ihn gerade in der Zeit nach seinem schweren Verkehrsunfall vor vier Jahren immer nach vorn blicken ließ und die Fortschritte in seiner Genesung freudig begrüßte. Natürlich war ihm dabei seine Frau Ines, stetig und liebevoll an seiner Seite, eine unschätzbare Hilfe – als internistisch tätige Hausärztin konnte sie ihn obendrein auch fachlich begleiten.”
Aus vielen persönlichen Gesprächen am Rande der jüngsten Ärzteturniere weiß ich, dass Jens-Frieder neben seiner allgemeinen und beruflichen Rehabilitation nach dem äußerst schweren Verkehrsunfall seinen festen Willen und seine Kraft auch auf weitere Teilnahmen an den traditionellen Schachmeisterschaften für Ärztinnen und Ärzte gerichtet hatte. Und dieses Ziel konnte er glücklicherweise erreichen. Es war ihm nach der unfallbedingten Zwangspause noch viermal vergönnt, bei den Turnieren in Bad Homburg am Schachbrett zu sitzen – und trotz seiner schweren Beeinträchtigungen dreimal 6 Punkte und einmal 4,5 Punkte aus neun Runden zu holen. Auch die Jubiläumsmeisterschaft zum 30. Turnier war dabei.
Während der Partien am Schachbrett wirkte er auf mich irgendwie unverändert: still, konzentriert und immer wieder mal mit einem leisen und freundlichen Lächeln auf den Lippen.
Jens-Frieder Mükke starb plötzlich und unerwartet am 10. Juni 2022 im Alter von nur 57 Jahren. Wir alle werden ihn vermissen.
Josef Maus

Jens-Frieder Mükke
* 27 Mai 1965 # 10. Juni 2022

Letzter Blitzeinschlag vor der Sommerpause

Letzter Blitzeinschlag vor der Sommerpause

Am 4. Mai 2022, steht um 20 Uhr das nächste Blitzturnier für das Team Ärzteschach an. Gespielt werden neun Runden nach dem Schweizer System mit jeweils fünf Minuten Bedenkzeit ohne Zeitgutschrift. Das Turnier trägt den Namen Arakhamia Tournament. Hier ist der direkte Link dorthin:

https://lichess.org/swiss/HdpUD2ca

Dieses Turnier wird das letzte vor der Sommerpause sein. Weiter geht es voraussichtlich im Oktober. Wir freuen uns über Ihre Teilnahme!

30 Jahre Deutsches Ärzteschach – ein Jubiläum

30 Jahre Deutsches Ärzteschach – ein Jubiläum

von Dr. Helmut Pfleger

Nun ist also schon die 30. Deutsche Ärzteschachmeisterschaft Geschichte – davon deren
letzten drei allesamt unter Pandemiebedingungen mit den entsprechenden Einschränkungen
und bei manchem auch Befürchtungen. Was naturgemäß auch zu einer geringeren
Teilnehmerzahl führte, immerhin waren aber diesmal vom 18. – 20. März in Bad Homburg
schon wieder über 92 gekommen – mal schauen, was uns das Coronavirus im nächsten Jahr
beschert … oder besser nicht beschert! In jedem Fall können sich die Ärzte nach der
liebenswürdigen Einladung durch OB Alexander Hetjes wieder auf Bad Homburg freuen, die
einzige kleine Meinungsverschiedenheit gab es bei der Eröffnung am Freitagabend zwischen
diesem und dem Präsidenten von MedChess e.V., Prof. Krauseneck aus Bamberg, welches die
schönste Stadt Deutschlands sei. Salomonisch einigte man sich darauf, dass beide
wunderschön seien.
Immerhin gibt es drei Ärzte, die seit dem ersten Mal 1993 in Baden-Baden immer dabei
waren: Prof. Dr. med. Peter Krauseneck, Dr. med. Martin Schaefer und Dr. med. Branko
Spasojevic.
Wobei Letzterer in nimmermüder Kleinarbeit und nächtelanger Internetrecherche fast alle
bisherigen 728 (!) TeilnehmerInnen ausfindig gemacht und deren Fachrichtungen zugeordnet
hat – das war wie „eine zweite Doktorarbeit“ (Spasojevic)! Ganz sicher eine gelungene, denn
künftig kann man immer auf diesen Schatz, der „Licht in ein 30-jähriges Ärztedunkel bringt“,
zurückgreifen. Und muss sich nicht – wie ich wiederholt – verwundert fragen, warum
ausgerechnet die Neurologen (Prof. Krauseneck ist beispielsweise einer) oft so gut
abschneiden und dafür besondere zerebrale Synapsenverbindungen vermuten, sondern kann
aus der Statistik ablesen, dass diese schlichtweg nach den Internisten und Allgemeinärzten die
dritthäufigste Teilnehmergruppe darstellen.
Zum Dank für diese Herkulesarbeit gab es eine wunderbare, vom „Künstler-Arzt“ Dr. med.
Jan Wähner gestaltete Skulptur, bei der sich eine Äskulapschlange um einen König windet –
ein perfektes Symbol fürs Ärzteschach!
Jetzt wird jemand gesucht, der diese für das Ärzteschach nicht nur höchst verdienstvolle,
sondern auch identitätsbildende Arbeit von Dr. Spasojevic fortsetzt – schließlich soll das
Ärzteschachturnier noch lange leben. Ad multos annos!
Solch ein Turnier lebt natürlich neben spannenden Partien, schönen Kombinationen und
gelegentlich auch groben Patzern von der besonderen Atmosphäre und den vielfältigen
Begegnungen und – gar nicht selten – Freundschaften, die dort geknüpft werden.
Sie sind der eigentliche Kitt, der so viele zu „Wiederholungstätern“ macht und alljährlich
gerne wiederkommen lässt. So war es für mich umgekehrt sehr schmerzlich, nach meiner
Rückkehr nach Hause am Sonntagabend zu erfahren, dass Prof. Dr. med. Eberhard Schwinger
aus Lübeck just am Freitag, dem Eröffnungstag, verstorben war. Wie gerne erinnere ich mich
unserer morgendlichen Plaudereien „über Gott und die Welt“ im Swimming Pool vor
Turnierbeginn, bei denen ich von diesem feinsinnigen Menschenfreund und renommierten
Humangenetiker erfuhr, dass die Maus mit 33.000 Genen zumindest quantitativ besser als der
Mensch mit nur 28.000 ausgestattet sei – allerdings hat sie offenbar kein Schachgen.

In den frühen 60er Jahren war dieser Kosmopolit als stud. med. Betreuer auf einer
Ausgrabung des Deutschen Archäologischen Instituts in Westpersien und konnte einem von
einer Giftschlange gebissenen persischen Helfer (damals dort ein sicheres Todesurteil) mit
einem polyvalenten Schlangenserum helfen, so dass dessen schon vorbereitetes Grab wieder
zugeschüttet werden konnte. Woraufhin die ganze Umgebung all ihre Kranken, die mühselig
und beladen waren, zu diesem Wunderheiler alias stud. med. brachte – ich stelle mir dies wie
einst bei Jesus Christus vor.
Aus dieser Zeit blieben bei ihm einige persische Brocken hängen, so dass er – wir sind immer
noch im Swimming Pool – Dr. Bawandi stilgerecht mit „Daste shoma dard nakoneh“ (möge
Ihre Hand nicht schmerzen!) begrüßen kann, worauf dieser entsprechend antwortet: „Sare
shoma dard nakoneh“ (Und auch nicht Ihr Kopf!). Das kann jeder gebrauchen, zumal bei
einem Schachturnier.
Natürlich konnte er sich auch mit Dr. med. Gunnar Riemer (schon wieder ein Neurologe!),
der als Kind jahrelang in Teheran auf die Deutsche Schule ging, über dieses wunderbare Land
austauschen. Dieser wiederum brachte mir jetzt beim Turnier das von ihm selbst übersetzte
Gedicht „Die Quelle und der Stein“ vom ‚König der Dichter‘ Mohammad-Taqi Bahar und
persisches Zuckergebäck von einem Besuch in Isfahan mit. Aus dieser einzigartigen Stadt,
aus der mein leider schon vor Langem verstorbener Freund Dr. med. Modjtaba Abtahi
stammte, der als Studentenführer vor dem Schah (man beachte die etymologische
Verwandtschaft mit „Schach“ = König) nach Deutschland floh und auch später, diesmal
wegen seiner Gegnerschaft zu Khomeini, nicht in sein Heimatland zurückkonnte, mit dem
zusammen ich in Erlangen studierte, der später Chef der Unfallchirurgie im Prosper-Hospital
in Recklinghausen werden sollte und der mit seinem orientalischen Humor viele
Ärzteschachturniere bereicherte.
So spinnt und spann sich über all die Jahre auch ein deutsch-persisches Geflecht. Vergessen
wir nicht, dass einst im frühen Mittelalter das Schachspiel von Indien nach Persien (und von
dort über Arabien nach Südeuropa) kam, wie der große persische Geschichtsschreiber
Firdausi um das Jahr 1000 im „Buch der Könige“ berichtet – ansonsten gäbe es jetzt vielleicht
kein Ärzteschachturnier?!
Aber es spinnen sich auch immer wieder neue Geflechte, die den Reiz des Menschseins
überhaupt und den besonderen Reiz des Ärzteschachturniers voller vielfältiger Begegnungen
ausmachen.
Und gar nicht selten auch unmittelbar nützlich sind. So entdeckt der Hautarzt Dr. med.
Matthias Birke bei mir wieder eine neu aufgeflammte Aktinische Keratose und empfiehlt mir
die gleiche Therapie, die trotz oder vielmehr gerade wegen einer starken Immunreaktion
schon vor drei Jahren erfolgreich war. Oder der Augenarzt Dr. med. Hans-Joachim Hofstetter
kann beim abendlichen Essen den Onkologen Dr. med. Dieter Hardt bei dessen
Augenproblem beruhigen. Oder der Kardiologe Dr. med. Patrick Stiller kann dem
Allgemeinarzt Dr. med. Matias Jolowicz bei einem plötzlich während der Partie aufgetretenen
symptomatischen Vorhofflimmern (ich kann Lieder davon singen) etwas verschreiben, so
dass dieser bald darauf wieder frohgemut mit einem Sinusrhythmus comme il faut durch die
Gegend läuft.
Nicht immer freilich läuft es so glimpflich ab. So hatten der mehrfache Landesmeister von
Mecklenburg-Vorpommern und zweimalige Sieger des Ärzteschachturniers, Dr. med. Hannes

Knuth, und Dr. med. Jens-Frieder Mükke schwere Verkehrsunfälle mit einer langwierigen
und teilweise auch andauernden Beeinträchtigung. Dennoch waren beide auch heuer wieder
dabei. Natürlich ist die unschätzbare Unterstützung durch ihre Ehefrauen, beide selbst
Ärztinnen, von größter Wichtigkeit, aber Schach als Heilmittel kann vielleicht auch sein
kleines Scherflein zur Gesundung und zur Lebensgestaltung beitragen. Wie schrieb doch der
große spanische König Alfons X. der Weise schon 1283: „Schach bietet dem Menschen
Zerstreuung, wenn Kummer und Schmerz ihn zu übermannen drohen.“
Immer wieder schön ist es, wenn junges Leben durch Spielsaal und Foyer tobt und zuweilen
auch lärmt; unwillkürlich denkt man, dass einem bei solchem Nachwuchs um die Zukunft
nicht bange sein muss. Seien es die Sprösslinge einiger jüngerer KollegInnen, seien es die
Enkel vom ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur des Deutschen Ärzteblatts und
Begründer des Ärzteschachturniers, Josef Maus, der als „Kommunikator“ mit seiner Familie
nach wie vor eine „Säule“ des Turniers ist, wovon nicht zuletzt dankbare TeilnehmerInnen
des Begleitprogramms – diesmal ging es ins Schloss – zu berichten wussten.

Aber natürlich wurde zu allererst Schach gespielt.
Nach der wie stets launigen Begrüßung durch OB Alexander Hetjes (der sich offenbar sowohl
in und mit seiner Stadt als auch mit den schachspielenden Ärzten wohlfühlt), der aber
durchaus auch den furchtbaren Krieg in der Ukraine ansprach, gab es wie stets alternativ ein
Simultanspiel oder Blitzschachturnier.

Das doppelte Simultanspiel in Aktion


Beim Simultan, das diesmal mein alter Freund Vlastimil Hort (einst einer der besten Spieler
der Welt, der bei einem früheren Ärzteschachturnier auch schon an 10 Brettern blindsimultan
spielte) und ich gemeinsam bestritten, indem wir alternierend zogen (jeder der Ärzte hatte es
also quasi mit zwei Köchen zu tun), mussten wir an 22 Brettern neben einigen Remisen auch
drei Mal aufgeben.
Gegen Dr. med. Ulrich Weiß aus Lemgo gingen wir gar in einem Mattangriff unter:


(wKg1, De2, Td2, Tf1, Lc2, Sd1, Ba4, b3, c4, e4, f2, g2, h3;
sKg8, De7, Tf8, Tf4, Lg7, Se5, Ba6, b7, c5, d6, e6, g6, h7)

Nach dem schönen Springeropfer 1…Sf3+! hätten wir nur mit der Qualitätsaufgabe nach
2.Kh1 Sxd2 auf ein längeres, wenn auch unerfreuliches Überleben hoffen können. Nach
2.gxf3 Dg5+ 3.Kh1 (3.Kh2 Le5 4.Tg1 Txf3+) Th4 4.Kh2 Le5+ nebst Matt in zwei Zügen
gab es hingegen ein Ende mit Schrecken.
Anlässlich dieses besonderen Simultanspiels hatte die weltweit führende Firma Chessbase in
Hamburg dankenswerterweise für jeden unserer Gegner unsere gemeinsame DVD „Moderne
Klassiker“ gespendet.

Beim gleichzeitigen Blitzschachturnier „wütete“ Prof. Krauseneck mit 10,5 Punkten aus 11
Partien schier unter seinen Gegnern, unter anderen dem schon fünfmaligen Sieger des

Ärzteschachturniers Dr. Stiller. Einmal mehr bewies der Neurologieprofessor aus Bamberg,
immerhin auch schon zwei Mal Sieger des Ärzteschachturniers, sein großes
Schachverständnis. Doch eine Schwäche gibt es bei ihm sehr wohl zu beklagen: In seiner
Partie gegen den Fide-Meister Dr. med. Amir Rezazadeh im „Hauptturnier“, die er im
Übrigen „hochverdient“ verlor, hätte er, allerdings schon in beiderseitiger Zeitnot, einzügig
(!) mattsetzen und so die Partie „auf den Kopf stellen“ können. Das muss er offenbar noch
üben, nachdem er in Bamberg bei einem Sportfest, an dem auch der Schachclub 1868
Bamberg teilnahm, eine Unzahl von einzügigen Matts, die er selbst hätte geben können,
übersah und sich ausgerechnet von einem leibhaftigen Esel selbst einzügig mattsetzen ließ –
alles dokumentiert mit Bild im „Fränkischen Tag“ – „Esel setzt Professor matt!“
Im Gegensatz zu solch eklatanter Bamberger Schwäche löste beim Abendessen die badische
Delegation sogar ein „Matt in 2“ mit leichter Hand. Nicht nur deshalb können wir froh sein,
dass wir praktisch seit Anbeginn diese tüchtige Badenser Turnierleitung mit Jürgen Damman,
Alexander Krauth, Reinhold Faißt und Irene Steimbach haben, die alle Probleme souverän
meistert.

Ebenso souverän wie Prof. Krauseneck im Blitzschachturnier „spazierte“ der Fide-Meister Dr.
med. Enrico Marchio im eigentlichen Hauptturnier der 30. Deutschen Ärztemeisterschaft –
wie immer mit neun Schnellschachpartien – mit 8,5 Punkten aus 9 Partien durch die Reihen
seiner Gegner – erst in der letzten Partie war sein Siegeshunger gestillt und gab er sich mit
einem Remis zufrieden. Auch hier ist alles Nähere aus der Tabelle zu ersehen.

Natürlich ist – als integraler Bestandteil der Ärzteschachmeisterschaften und quasi als
conditio sine qua non – der Buchstand des Schachehepaars Manfred und Monika Mädler, bei
dem man zwischen den Runden wunderbar stöbern kann, nicht wegzudenken – auch wenn ich
diesmal den ewigen Ladenhüter „Der Arzt im Schachspiel“ vergeblich suchte.
Vor allem dank des Kollegen und Diabetologen Dr. med. Richard Berthold unterstützt
erfreulicherweise die Firma Prowin seit Jahren das Ärzteschachturnier mit kleinen Gaben für
jedermann und einem ansehnlichen Geldbetrag. Bei dieser „Gebefreudigkeit“ sei nicht
vergessen, dass allen teilnehmenden Ärzten als Erinnerung zum 30-jährigen Jubiläum das
prächtige Buch Wie aus Träumen Traditionen wurden – 100 Jahre Schachturnier in Hastings
überreicht wurde.

Und nicht vergessen sei die vorzügliche Unterbringung in den beiden „Schachhotels“, dem
Maritim und Park-Hotel – das letztere mit der Besitzerfamilie Petry hat im Lauf der Jahre
schon viele hochkarätige Schachturniere, teilweise mit den stärksten SpielerInnen der Welt
veranstaltet.
Zum Abschluss (weitere kleine Schlaglichter werden folgen) noch eine kleine, gefällige
Kombination von Dr. Mükke gegen eine der beiden teilnehmenden Damen, Dr. med. Irina
Mattiesen:


(wKg1, Df5, Td1, Tf1, Ld2, Sh5, Ba3, c3, c2, f2, g2, h2;

sKe7, Df8, Ta8, Th8, Lb6, Sc6, Ba7, b7, e5, g5, h6)

Wie konnte der passionierte Schachsammler Dr. Mükke aus Naumburg als Weißer am Zug
ganz schnell gewinnen?
Lösung:
Mit dem Läuferopfer 1.Lxg5+! Nach 1…hxg5 2.Dd7 war der in der Mitte hängengebliebene
schwarze König matt.