Schach im Netz Teil 1: Youtube

Ein formidabler Gastbeitrag von Dr. Franz Jürgen Schell

Romantiker, Kobolde und Dschungelcamper – die bunte Schachszene auf Youtube
Schach erlebt online einen ungeahnten Aufschwung. Darüber berichtete jetzt sogar die Sportschau:

https://www.sportschau.de/weitere/schach/video-corona-krise-sorgt-fuer-schach-boom-100.html

Der Boom betrifft nicht nur die Angebote selbst zu spielen unter Chess.com, Schacharena, Chess24 play.chessbase.com oder Lichess.org, wo ja auch regelmäßig unsere online Ärzteschaft Turniere stattfinden. Apropos: Für alle, die sich noch nicht angemeldet haben, hier noch einmal der Link zum Team

Ärzteschach: https://lichess.org/team/arzteschach.


Auch gibt es im Netz viel Schach zu sehen, zum Lernen und als Unterhaltung. Vermutlich kommen hier drei Faktoren zusammen, die das königliche Spiel befördern: Das gestiegene Interesse an einer Sportart, die als einzige im Pandemie-Lockdown online praktiziert werden kann, der Boom durch die Netflix-Serie „Damengambit“ und die „Arbeitslosigkeit“ von zahlreichen Schachprofis. „Over-the-board-Turniere“ finden derzeit fast nicht statt, Großmeistern fehlen die Einkünfte und so probieren sie die neuen, digitalen Vertriebswege. Dadurch ist das Angebot inzwischen riesig und kaum zu überschauen. Daher ist dies kein Review mit Anspruch auf Vollständigkeit, sondern lediglich eine Ansammlung von Kasuistiken, beruhend auf rein subjektiven Eindrücken.


Der Agadmator mit Ex-Weltmeister Anand.


Betrachten wir zunächst den Videokanal Youtube. Hier ist weltweit der Agadmator eindeutig „Schachweltmeister“. Der junge Kroate lud vor drei Jahren ein Hochzeitsvideo auf Youtube hoch und entdeckte dabei die Möglichkeiten der Plattform. Inzwischen hat er 900.000 Abonnenten, kündigte seine Arbeitsstelle und veröffentlicht hauptberuflich fast täglich ein neues Video mit einer Partie, die er kommentiert. Entweder von aktuellen Turnieren oder Klassiker. So gibt es schöne, historische Playlists wie die Paul Morphy Saga oder die Bobby Fischer Story. Der bekennende Schachromantiker ist Fan von Michael Tal und Raschid Neschmetdinow und bedauert jede vertane Chance, wenn das Evans-Gambit (e4-e5, Sf3-Sc6, Lc4-Lc5, b4) nicht aufs Brett kommt. Seine Kommentare sind Kult, das Design mit Fotos der Spieler ansprechend. Inzwischen produziert er auch Podcasts mit Top-Großmeistern und arbeitet an einem Schachmanga. Wie die übrigen Kommentatoren auch, fordert der Agadmator an kritischen Stellen der Partie auf, das Video anzuhalten und den besten Zug selbst zu tippen.


https://www.youtube.com/user/AGADMATOR


Der St. Louis Chess Club hat sich zum schachlichen Mekka der USA entwickelt und bietet eher Lehrvideos an.


https://www.youtube.com/channel/UCM-ONC2bCHytG2mYtKDmIeA

Einen Besuch wert sind auf jeden Fall die Kanäle zweier Engländer. Der eher britisch-zurückhaltende, Gentleman-like auftretende Großmeister Daniel King ist vielen als Kommentator auf Spiegel online bekannt.


Großmeister Daniel King


Auf dem Kanal PowerPlayChess zeigt er seine Begeisterung für kombinationsreiches Spiel. Dabei gräbt er interessante, ältere Partien aus oder kommentiert Aktuelles.


https://www.youtube.com/user/PowerPlayChess


Ganz anders, temperamentvoll, vor allem in den eigenen Partien, aber zugleich unterhaltsam ist Ginger GM, alias Simon Williams. Mit seinen feuerroten Haaren wirkt er wie ein keltischer Kobold, der entweder eigene Partien kommentiert oder auch Eröffnungen wie das Londoner System sehr gründlich erläutert.


Großmeister Simon Williams: Ginger GM is hot.


Inzwischen ist er mehr auf Twitch.TV als auf Youtube aktiv, auf diese Plattform werden wir später noch kommen. Der „scharfe“ Großmeister ist dabei mindestens so viel Entertainer wie Schachlehrer.


https://www.youtube.com/channel/UClV9nqHHcsrm2krkFDPPr-g


Alle bislang genannten Kanäle sind auf Englisch. Bei den deutschen Anbietern führt The Big Greek. Dahinter verbirgt sich der Schachjournalist und Internationale Meister Georgios Souleidis.


The Big Greek ist auf vielen Feldern aktiv.


Der studierte Kommunikationswissenschaftler startete seinen Kanal im Juni 2019. Dort vermittelt er Basiswissen, Taktik und zeigt Meisterpartien. Für zahlende Abonnenten („Subs“, kurz für Subscribers) veranstaltet er Turniere, Simultan und Wettkämpfe mit den Subs anderer Schachbetreiber.

https://www.youtube.com/channel/UCqY4_uXyOSwpbPpO4qiNDVA

Zur deutschsprachigen Nummer zwei hat sich der junge Großmeister Niklas Huschenbeth hochgearbeitet. Neben seinem Youtube-Kanal betreibt er noch eine professionelle online-Schachschule, in der er Trainingskurse per Video zum Erreichen der Spielstärken 1400, 1700 und 2000 DWZ anbietet: https://chessence.de/ Huschenbeth versucht bei seinen Partiekommentaren mitunter das Denken eines Großmeisters zu simulieren, in dem er laut Überlegungen anstellt und sie dabei so verlangsamt, dass der Amateur folgen kann.


Großmeister Niklas Huschenbeth blickt durch.


Sehr beliebt sind die „Streamerbattles“ zwischen den „Big Greek Aficinados“ oder auch „Spartaner“ genannt und den „Huschis“. Die Blitz-Paarungen orientieren sich an den Rating-Zahlen der Spieler und gehen von 1100 aufwärts. Köstlich die Reaktionen der Mentoren, wenn sie hilflos mitansehen müssen, wie sich Partien durch Nervosität, Zeitnot oder schlicht fehlender Übersicht komplett drehen. Auch wenn sie die guten Züge meist vergeblich ins Mikrofon rufen, denn der Stream läuft mit minimaler Zeitverzögerung, so dass die Spieler – selbst wenn sie entgegen der Regeln die Kommentare mithören – sie immer zu spät erfahren.


Kein Pokerface: Huschenbeth und Soleidis leiden mit.


So klar wie Huschenbeth in seinen Analysen ist, so leidenschaftlich geht er bei den Spielen mit. https://www.youtube.com/user/nichus2012


Übrigens bieten sehr viele Youtube-Kanäle auch Fanartikel wie Tassen und T-Shirts an, „Merchs“ genannt. Manchmal nur das Logo, gelegentlich auch mit charakteristischen Zitaten oder dem Konterfei des eher unbekannten Mr. Barnes, der Morphy mit seiner wilden Spielweise Paroli bot.
Noch mehr Entertainer als Schachspieler ist der Wahl-Hamburger Jan Gustafsson. Mit seinem trockenen Humor unterhält er bei „Geschwätzblitz“ und seinen „Lach- und Schachgeschichten“ auf Chess24, zu dessen Besitzern er gehört. Dabei spricht er mit Vorliebe über Trash-TV, neben Schach offenbar seine zweite große Leidenschaft.
Apropos – im Schach ist es wie im Fernsehen: In manchen Fällen verhalten sich individuelle Fertigkeiten und Sendungsbewusstsein genau umgekehrt proportional. Der Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum führt seine Partien, die immerhin sogar Vereinsniveau erreichen, mit einer kindlichenLuci Begeisterung vor. Als erwähnenswerte Trophäe eines Titelträgers genügt dem selig lächelnden Senior unter den Schach-Youtubern mit der Basecap vermutlich schon der Sieg gegen einen Bade- oder Hausmeister.


Skurril ist auch der Ledator. Neben relativ normalen, schachlichen Lehrvideos zum Beispiel zu Endspielen liebt es der Schwabe, ausschweifend über die Objekte seiner größten Abneigung zu wettern: Amateurspieler. Die haben es ihm angetan, verderben sie doch das wunderbare strategische Spiel mit ihrem taktischen Firlefanz und ihrem Fetisch für hier völlig unangebrachten Sado-Maso-Praktiken wie Fesseln und Schlagen. Amateurspieler agieren doch tatsächlich so, als ginge es bei diesem edlen Wettstreit des Geistes nur darum, den Gegner irgendwie mattzusetzen. Unglaublich! Diesen verabscheuungswürdigen Amateurspielern ist alles zuzutrauen, so dass es nicht erstaunen würde, wenn der Ledator demnächst feststellen würde, dass sie auch für den Klimawandel und die Corona-Pandemie verantwortlich sind.
Youngster und zugleich „King“ in diesem Panoptikum ist Kugelbuch. Die schachlichen Fähigkeiten des Nachwuchstalents bleiben sehr überschaubar – „Mein Traum ist ein Rating von 1800“ –, aber dazu steht er und seine denglischen Kommentare strotzen vor Selbstbewusstsein: „Ich conneckte die Rooks und dann mate ich ihn mit Queen und Bishop“.


Je mehr Pfeile, desto mehr Schachkompetenz, davon ist Kugelbuch überzeugt.


Mit seinem Slang, der Internationalität simulieren soll und auch einfachste Aussagen very impressive klingen lässt, wirkt er wie ein Vertreter anstrengender Social Media Marketingagenturen. Die Jugend liebt den Schlaks auf seinem Entdeckungspfad oder besser pathway in den jungle der 64 squares und fiebert mit, ob das einzügige Matt tatsächlich gegeben oder die Queen ge-lost wird. Der Erfolg gibt dem mentalen Dschungelcamper recht.
Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere interessante und selbstverständlich auch gute Schach-Youtuber, auf die ich aus Platzgründen nicht eingehen kann. Diese warten auf Ihre Entdeckung, darunter auch Elisabeth Pähtz, die wir vom Ärzteschachturnier kennen.
Wer das „Damengambit“ auf Netflix gesehen hat und gerne noch einen längeren Blick aufs Brett geworfen oder gar eine der Partien von Beth Harmon analysiert hätte, dem können einige der erwähnten Youtuber helfen. Der Agadmator zeigte als erster mehrere Partien – und demonstrierte auch die realen Vorbilder. . https://www.youtube.com/watch?v=oIMaTKOZG-8 Wer es lieber auf Deutsch mag, der wird beim regen Griechen fündig. https://www.youtube.com/watch?v=f1ocwvA3djk


Und hier noch ein Rätsel. Wie hat Elizabeth Harmon in der Serie „Damengambit“ hier Harry Beltik in sieben Zügen Matt gesetzt? (Die Originalpartie ist von Neschmetdinow und der Screenshot vom Agadmator.)

Lösung:
⦁ Dg6.+ – Kg6:
⦁ T1f6+ – Kg5
⦁ Tf5+ – Kh6
⦁ T7f6+ – Kh7
⦁ Th5+ – Kg7
⦁ Tg5+ – Kh7
⦁ Lf5#